Viewfinder Test (Nintendo Switch): Spielen mit der Perspektive
Sad Owl Studios aus Schottland hat mit Viewfinder ein Puzzle geschaffen, das die Grenzen zwischen Realität und Foto-Magie verschwimmen lässt.
Was ist Viewfinder?
Viewfinder ist ein First-Person-Rätselspiel, das im Juli 2023 erstmals für PlayStation 5 und PC erschienen ist und nun am 3. Dezember 2025 den Weg auf die Nintendo Switch gefunden hat. Das Spiel stammt vom schottischen Indie-Studio Sad Owl Studios (ursprünglich Robot Turtle) und wird von Thunderful Publishing veröffentlicht. Die offizielle Website preist das Game als verblüffendes First-Person-Abenteuerspiel, in dem ihr Bilder zum Leben erwecken könnt, wenn ihr sie in der Welt platziert. Der Hersteller ist besonders stolz auf die innovative Kernmechanik: Mit einer Sofortbildkamera könnt ihr Fotografien, Gemälde, Skizzen, Screenshots und sogar Postkarten in die dreidimensionale Spielwelt integrieren – sie werden buchstäblich zur begehbaren Realität.
Das Spiel hat bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter Preise bei den BAFTA und den UKIE Video Game Awards 2024. Mit einem Metacritic-Score von 84 bis 86 Punkten gehört Viewfinder zu den bestbewerteten Puzzlespielen der letzten Jahre. Die Besonderheit: Was in anderen Spielen kompliziert klingt, funktioniert in Viewfinder intuitiv und macht vom ersten Moment an Spaß. Der Entwickler Matt Stark startete das Projekt 2019 als technisches Experiment und nannte die Mechanik intern den „Polaroid-Effekt“ – ein Name, der perfekt beschreibt, worum es geht. Dementsprechend scheint das Game perfekt für ein Handheld-System wie die Nintendo Switch-Konsolen zu sein. Legen wir also mal los und spielen die ersten Levels!
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Gleich rein in die Vollen
Das Spiel startet auf einem weiß getünchten Balkon einer griechisch anmutenden Villa, und innerhalb weniger Sekunden habt ihr die Grundlagen verstanden. Ihr erwacht in dieser Umgebung und werdet von einer Frauenstimme namens Jessie begrüßt, die euch durch das Spiel führt. Das erste Werkzeug, das euch zur Verfügung steht, ist die Rückspulfunktion. Versucht ihr etwa eine brüchige Brücke zu überqueren und stürzt ab, könnt ihr per Knopfdruck die Zeit zurückdrehen, als wäre nichts geschehen. Kein nerviges „Game Over“, kein Fortschrittsverlust – nur pures Experimentieren. Nach wenigen Schritten findet ihr euer erstes Schwarz-Weiß-Foto. Haltet ihr mit ZL dieses vor euch und drückt dann ZR, geschieht etwas Magisches: Das Foto löst sich aus seinem zweidimensionalen Rahmen und wird zu einer vollständig begehbaren, dreidimensionalen Struktur in der Spielwelt.
Dieser Moment ist pure Magie und sorgt immer wieder mal für einen Wow-Effekt, der sich durch Viewfinder zieht. Das Tutorial führt euch behutsam an die Mechaniken heran, ohne zu überfordern. Selbst Ungeübte oder ältere Spielerinnen und Spieler stehen hier vor keinerlei Problematik. Die deutsche Lokalisierung ist tadellos gelungen, und auch wenn die Sprachausgabe nur auf Englisch verfügbar ist, sind sämtliche Texte akkurat übersetzt. Bereits in den ersten zehn Minuten wird klar: Hier erwartet euch ein Spiel, das nicht durch Komplexität beeindruckt, sondern durch die schlichte Genialität seiner Kernidee. Jede Mechanik wird organisch eingeführt, und dank der unkomplizierten Steuerung geht das Foto-Platzieren wirklich kinderleicht von der Hand. Die Steuerung ist typisch für First-Person-Titel und bietet keine großen Überraschungen – genau so, wie es sein sollte.
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Wenn Fotos zur Realität werden
Im eigentlichen Spiel entfaltet Viewfinder dann seine wahre Stärke. Das Kernkonzept ist simpel: Erreicht den Teleporter am Ende jedes Levels. Das erinnert ein wenig an Portal und Konsorten, denn der Weg dorthin ist alles andere als geradlinig. Anfangs findet ihr Polaroid-Fotos in der Umgebung – ein Bild einer Brücke, ein Schnappschuss eines Durchgangs, eine Aufnahme des Himmels. Diese haltet ihr vor euch, richtet sie perspektivisch aus und platziert sie in der Welt. In Sekundenschnelle wird das zweidimensionale Bild zu einem dreidimensionalen, begehbaren Objekt. Diese Mechanik funktioniert verblüffend gut, sie wird später noch erweitert. Klafft ein Abgrund zwischen euch und dem Ziel? Fotografiert den Boden und setzt ihn als Brücke ein. Versperrt eine Wand den Weg? Knipst leere Luft und löst die Barriere auf. Das Geniale: Beim Platzieren eines Fotos wird alles, was sich hinter dem Bild befand, einfach ausradiert – wie ein gigantischer Radiergummi. Das klingt nach Chaos, und ja, manchmal geht auch etwas schief. Ihr könnt versehentlich den Teleporter zerstören oder wichtige Batterien in die Tiefe fallen lassen. Genau deshalb ist die Rückspulfunktion so essentiell: Ein doppelter Y-Knopfdruck, und schon seid ihr wieder am Ausgangspunkt.
Im Verlauf des Spiels entwickelt sich die Mechanik stetig weiter. Ihr bekommt Zugriff auf Fotokopierer, mit denen ihr Bilder duplizieren könnt – perfekt, um Batterien zu vervielfältigen, die ihr für die Stromversorgung der Teleporter benötigt. Fest installierte Kameras mit Timer erlauben es, Selfies zu schießen und euch selbst durch Käfige zu teleportieren. Und das absolute Highlight: Irgendwann erhaltet ihr eine tragbare Polaroid-Kamera, mit der ihr völlig frei Fotos aufnehmen könnt. Ab diesem Moment seid ihr nicht mehr auf vorgegebene Bilder angewiesen, sondern könnt eure eigenen Lösungen kreieren. Dieser Moment fühlt sich unglaublich befreiend an – vergleichbar mit dem Augenblick in Portal, als ihr endlich sämtliche Portal-Typen nutzen durftet. Die Rätsel selbst sind clever durchdacht und steigern sich konstant im Schwierigkeitsgrad. Anfangs sind sie noch recht einfach und dienen als erweitertes Tutorial. Doch schon nach wenigen Stunden werden die Aufgaben knifflig und fordern räumliches Denken, Perspektivverständnis und Kreativität. Besonders raffiniert sind Rätsel, bei denen ihr mit der Schwerkraft spielt: Dreht ein Foto um 180 Grad und platziert es – schon steht ihr Kopf und könnt Bereiche erreichen, die vorher unerreichbar waren. Auch optische Täuschungen spielen eine große Rolle.
Das macht Viewfinder aus
Ihr ahnt es schon: Das absolute Highlight von Viewfinder ist zweifellos die nahtlose Integration der Foto-Mechanik. Der Übergang von 2D zu 3D geschieht flüssig, ohne jegliche Ruckler oder Ladepausen. Es ist einfach faszinierend zu beobachten, wie ein flaches Bild plötzlich zur vollwertigen Umgebung wird. Dabei ändert sich manchmal auch der Stil der jeweiligen Umgebung, was wiederum für Überraschung und Freude sorgt. Ein weiterer Pluspunkt ist die Freiheit, die das Spiel bietet. Es gibt keine unsichtbaren Wände, die euch zurückhalten. Ihr könnt praktisch jedes Foto an jeder beliebigen Stelle platzieren – natürlich mit Ausnahme des Teleporters, den ihr nicht zerstören dürft. Diese Freiheit führt dazu, dass viele Rätsel mehrere Lösungen haben können. Ohne Dinge vorwegzunehmen: Jedes Kapitel bringt neue Ideen mit sich, sodass nie Langeweile aufkommt – fast wie in A Plucky Squire. Und für die Perfektionisten unter euch: Es gibt optionale, besonders knifflige Level, die euch ordentlich ins Schwitzen bringen. Zudem könnt ihr jederzeit zu bereits abgeschlossenen Leveln zurückkehren, um verpasste Sammelgegenstände zu finden.
Was jedoch auffällt: Die Spielzeit ist mit etwa vier bis sechs Stunden für den Hauptdurchgang recht kurz. Wollt ihr wirklich alles finden und alle optionalen Rätsel lösen, kommt ihr auf maximal sieben bis acht Stunden. Für einen Preis von 24,99 Euro im Nintendo eShop mag das für manche zu wenig sein. Allerdings: Viewfinder verzichtet bewusst auf Füllmaterial und bietet stattdessen durchgehend hochwertige Rätsel ohne Längen. Jede Minute ist mit neuen Ideen gefüllt, und das Spiel überstrapaziert seine Mechaniken nie. Es endet genau dann, wenn es am schönsten ist – und hinterlässt den Wunsch nach mehr. Die Geschichte des Spiels ist eher Beiwerk – anstatt wie in A Stanley Parable die Hauptrolle einzunehmen, bleibt sie im Hintergrund. Ja, die Erzählung ist subtil und drängt sich nie auf – wer nur rätseln möchte, kann die an sich berührende Story problemlos ignorieren. Erwähnenswert ist auch die Vielzahl an Easter Eggs und liebevollen Details. Ihr könnt in eine Metroid-ähnliche Pixelwelt springen, mit einem nicht-urheberrechtsverletzenden Tamagotchi spielen oder Kunst im Stil verschiedener Epochen zum Leben erwecken.
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Die Technik von Viewfinder
Viewfinder auf der Nintendo Switch präsentiert sich in einer farbenfrohen, leicht stilisierten Optik. Die Grafik ist nicht fotorealistisch, sondern setzt auf klare Formen und kräftige Farben. Das hat den Vorteil, dass das Spiel auch auf der weniger leistungsstarken Switch läuft. Im Handheld-Modus läuft Viewfinder ebenfalls stabil, allerdings mit leicht reduzierter Auflösung. Die Bildrate bleibt dabei konstant bei 30 fps – zum Testzeitpunkt auch auf einer Nintendo Switch 2. Schade! Was sofort auffällt: Die Übergänge zwischen 2D-Fotos und 3D-Umgebungen sind butterweich und ohne jegliches Ruckeln. Auch bei komplexen Szenen, in denen mehrere Fotos gleichzeitig platziert werden, gibt es keine Performance-Probleme. Allerdings bemerkt man bei genauerer Betrachtung ein leichtes Pop-in von NPCs und Objekten in mittlerer Entfernung. Das ist kein Beinbruch, aber durchaus sichtbar. Insgesamt ist die grafische Umsetzung für die Switch mehr als solide und beweist, dass innovative Spielmechaniken nicht zwingend High-End-Hardware benötigen. Die Texturen sind halt bei näherer Betrachtung nicht immer ganz sauber gelöst, aber was will man schon von einem Indie-Titel hier an Perfektion erwarten?
Der Soundtrack von Viewfinder ist atmosphärisch und unaufdringlich. Die Musikstücke passen perfekt zur jeweiligen Umgebung – von verträumten Melodien in sonnendurchfluteten Bereichen bis hin zu mysteriösen Klängen in dunkleren Leveln. Die englische Sprachausgabe ist professionell und verleiht den Charakteren Persönlichkeit, auch wenn deutsche Synchronisation fehlt. Die Soundeffekte sind stimmig: Das Klicken der Polaroid-Kamera, das Surren eines Fotokopierers, das Summen der Teleporter – all das trägt zur Immersion bei. Das Handling des Games ist intuitiv und geht schnell von der Hand. Mit dem linken Stick bewegt ihr euch, mit dem rechten dreht ihr die Kamera. Die Schultertasten werden zum Platzieren der Fotos und Y zur Rückspulfunktion genutzt. Alles fühlt sich präzise an, und die Steuerung gibt zu keinem Zeitpunkt Anlass zur Kritik. Einzig das Ausrichten der Fotos kann manchmal etwas fummelig sein, da die Perspektive genau stimmen muss – aber auch hier hilft die Rückspulfunktion, falls etwas schiefgeht. Viewfinder unterstützt sowohl Joy-Con- als auch Pro-Controller-Steuerung gleichermaßen gut. Auf der Nintendo Switch 2 genehmigt sich das Game 3,6 GB – und die Ladezeiten sind angenehm kurz.
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Das Fazit: Perspektivisch gut!
Viewfinder ist ein kleines Meisterwerk geworden, das zeigt, was passiert, wenn kreative Köpfe ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Sad Owl Studios haben mit ihrem Debüttitel ein Spiel geschaffen, das nicht nur technisch innovativ ist, sondern vor allem eines vermittelt: pure Spielfreude. Der konstante Wechsel zwischen gefundenen Fotos, Fotokopierern und selbst aufgenommenen Polaroids sorgt dafür, dass das Gameplay nie langweilig wird. Jede Mechanik wird ausreichend eingeführt, bevor sie durch eine neue ersetzt oder erweitert wird. Die traumhafte Präsentation, die liebevollen Details und die konstanten Überraschungen machen diesen Titel zu einem Spiel, das man so schnell nicht vergisst. Besonders die Foto-Mechaniken und die cleveren Rätsel zeigen, wie viel Potenzial in der Grundidee steckt. Mit etwa vier bis sechs Stunden Spielzeit bietet es genug Inhalt, ohne sich zu sehr in die Länge zu ziehen. Jede Mechanik wird ausreichend bedient, bevor sie von einer neuen abgelöst wird. Hier wiederholt sich kaum etwas, es steht also klar die Qualität vor der reinen Quantität.
Schwächen gibt es nur wenige: Die Spielzeit fällt für manche in Relation zum Preis von 24,99 Euro etwas kurz aus, teilweise ist der Fortschritt so wie die 30 fps gemächlich, und die Story bleibt eher im Hintergrund. Auch kommen echte Herausforderungen für Hardcore-Puzzler zu kurz – Viewfinder ist eher ein entspanntes Rätselspiel als ein knallharter Gehirnverdreher. Wer jedoch ein kreatives, zugängliches Abenteuer sucht, das sowohl Einsteiger als auch erfahrene Spieler begeistert, findet hier einen wahren Schatz. Viewfinder beweist eindrucksvoll, dass Videospiele mehr sein können als nur Unterhaltung – sie können in Ausnahmefällen auch pure Magie sein. Das Spiel reiht sich nahtlos neben Klassikern wie Portal, The Stanley Parable und The Witness ein und verdient definitiv seinen Platz in jeder Switch-Bibliothek von Puzzle-Begeisterten. Für Rätsel-Fans ist es ein absolutes Muss, und selbst Gelegenheitsspieler werden von der innovativen Mechanik begeistert sein. Das Game ist ein innovatives Puzzlespiel, das die Grenzen des Genres erweitert und zeigt, dass die Innovation nach wie vor lebt.