FIFA 20 Test: Mit Rasen und Straße zu mehr Modi und Würze

von David Kolb-Zgaga 28.09.2019

Mit FIFA 20 stehen abermals Lootboxen, Lizenzen, Ballphysik aber auch der neu Street-Modus Volta im Fokus. Lohnt sich das große Update dieses Jahr?

Ein bisschen fremdeln gehört dazu

Ich habe mein PES 2020 Review mit dem Satz EA hat mich über Jahrzehnte lang verdorben.“ eingeleitet. Das ist auch jetzt zutreffend, denn durch meinen erhöhten FIFA-Konsum, habe ich mich so an das Gameplay gewöhnt, dass ich mit PES 2020 große Startschwierigkeiten hatte. Das gilt in abgeschwächter Form aber auch für jedes neue FIFA, denn zu Beginn weiß man noch nicht genau, was sich geändert hat, aber spürt, dass es sich anders anfühlt. Dieser Umstand trifft auf FIFA 20 besonders zu, da das Tempo deutlich reduziert und die Ballphysik realistischer gestaltet wurde. Hier muss EA den komplexen Balanceakt aus Spielspaß und Realismus bestehen. Nur weil etwas natürlicher aussieht, heißt es noch lange nicht, dass das dem Gameplay gut tut. Bevor ich euch also alle Neuerungen zu Volta, FUT, Karrieremodus und Co zeige, schauen wir uns an was sich am Rasen selbst geändert hat.

Ohne Magnet verteidigen

Da wirft EA gerne mit fancy Namen wie „Controlled Tackling“, „Natural Player Motion“ oder „Composed Finishing“ durch die Marketinglandschaft und niemand ohne zwanzig Spielstunden weiß, was das genau bedeutet. Das sogenannte Controlled Tackling macht das verteidigen komplexer, da es nun nicht mehr ausreicht einfach auf der Kreis/B-Taste lange oben zu bleiben. Früher haben sich auch große, langsame Verteidiger gegen schnelle Stürmer quasi magnetisch zwischen Ball und Spieler gedrängt. Das klappt jetzt nicht mehr, was eine angenehme Verbesserung ist. Es wird jetzt von den SpielerInnen erwartet, wie auch bei einer Grätsche, ein gutes Timing auf den Platz zu bringen. Setzt ihr das im falschen Moment ein, verliert ihr das Laufduell. Das bedeutet auch, dass es zu interessanteren Eins-gegen-Eins-Duellen kommt, denn im umgekehrten Fall, also bei gutem Timing und Positionierung, könnt ihr dem Gegner auch weiterhin geschickt den Ball abluchsen. Das Eins gegen Eins wird weiter unterstützt, indem EA die KI-Verteidiger (die gerade nicht aktiv gesteuert werden) weniger aggressiv und etwas schlechter in der Balleroberung ausgestattet hat.

Realismus = Spielspaß?

Damit hatte ich zu Beginn die größten Umstellungsprobleme, weil ich es gewohnt war mit Spielern zurückzulaufen und auf meine KI-Verteidigung zu vertrauen, die den Gegner in meiner Abwesenheit zumindest gut beschäftigt. Das klappt jetzt nicht mehr und ich musste mich deutlich dazu zwingen selbst aktiver und aggressiver zu werden. Ansonsten läuft mir der Gegner quer durch das gesamte Mittelfeld. Nach meiner Eingewöhnungsphase halte ich dieses Feature für sehr sinnvoll, da es FIFA zu einem aktiveren Erlebnis macht. Womit ich aber noch immer nicht ganz warm geworden bin, ist die neue Ballphysik, die nun realistischer gemacht wurde (da wären wir wieder bei Gameplay VS Realismus). Da kann es schon vorkommen, dass der Ball bei einem Flachpass zu hoppeln beginnt oder sich sogar verspringt. Das wiederum führt zum einen oder anderen „realistischen“ Frustmoment. Was zwar auch realistisch ist, aber durchaus gutes Gameplay hervorbringt, ist die schon erwähnte Natural Player Motion.

Unmögliche Aktionen werden unmöglicher

Im Vorgänger konnte man auch aus den unmöglichsten Verrenkungen noch einen guten Pass spielen und das gehört jetzt der Vergangenheit an. Es ist nun mehr denn je enorm wichtig, wie der ballführende Spieler positioniert ist, auf welchem Fuß sich der Ball befindet und in welche Richtung ihr passen wollt. Das hört sich zuerst hoch wissenschaftlich an, ist jedoch sehr intuitiv. Es ist schlicht nicht mehr möglich aus dem Stand heraus in jede Richtung einen guten Pass zu spielen. Das reduzierte Spieltempo lässt dafür aber auch mehr Zeit zum Nachdenken und hilft bei der Planung enorm. Dasselbe gilt übrigens auch für Volleys und Fallrückzieher, die jetzt spürbar riskanter sind und nicht mehr so oft zu Toren führen. Gut positionierte, „normale“ Schüsse finden auch weiterhin immer wieder ihren Weg ins Tor. Als letzten großen Punkt wurden außerdem endlich die Standards überarbeitet. Ihr bekommt hier nun wieder ein klassisches Fadenkreuz, dass ihr per Stick in die gewünschte Richtung balancieren könnt. Mit Schnitt und Schusskraft steht nun weniger das Glück, sondern der Skill im Vordergrund, was ich absolut gut heiße.

Street oder Halle?

Jetzt aber weg vom Rasen, hin zur Straße und damit hin zu Volta. Dieser Modus erinnert an FIFA Street, gepaart mit dem lange vermissten Hallenmodus aus FIFA 98. In 3 gegen 3, 4 gegen 4 oder 5 gegen tritt man wahlweise mit oder ohne Bande und Torwart in den unterschiedlichsten Matches an. Mit FIFA Street hat der Modus aber nur bedingt zu tun, denn mit realitätsfremden Tricks, Dribblings und Superschüssen, könnt ihr das Spiel nicht gewinnen. In Volta geht es zwar um Tricks und Straßenfußball, aber noch viel mehr um blitzschnelles Kurzpassspiel, womit es eher dem Hallenmodus gleicht. Bei Volta fühlt sich alles etwas arcadiger an. Das beginnt schon damit, dass es keine Ausdauer gibt und man bei 3 gegen 3 naturgemäß mit einem öffnenden Pass ein Tor erzielen kann. Dadurch eignet sich der Modus besonders gut für schnelle Partien auf der Couch.

Das ist mir zu krass

Ihr habt bei Volta drei Möglichkeiten: Online-Saison, einen Tour-Modus, wo man mit einer zusammengestellten Mannschaft gegen KI-Teams antritt und den Story-Modus, der die Kampagne The Journey aus FIFA 17, 18 und 19 ablöst. Natürlich übernimmt man erneut ein aufstrebendes Talent (männlich oder weiblich) und kämpft sich an die Spitze. Durch den Hintergrund der Straße fühlt es sich an, als hätte EA The Journey und ein bisschen Need for Speed in einen Topf geworfen und herausgekommen ist ein protziger Storymodus, der sich selbst für ein bisschen zu cool hält. Hätte man in den fünf Stunden einen Zähler für das Wort „krass“ eingebaut, man wäre wohl locker dreistellig dabei ausgestiegen.

Volta nicht zu Ende gedacht

Die Geschichte um Alex Hunter war dann doch deutlich interessanter, dafür ist hier das Gameplay besser. Aber wenn es schon so einen freshen Modus gibt, dann kauft man sich und seinen SpielerInnen noch Torjubel, Frisuren, Kleidung und sonstige Äußerlichkeiten, #Gönnung. An sich bietet die Story aber ein passables Tutorial in den Volta-Modus und der macht in kurzen Matches viel Spaß. Allerdings gibt es zwei Haken. Ihr könnt egal ob Story, Tour oder Online-Saison nur spielen, wenn ihr dauerhaft mit dem Internet verbunden seid. EA hat sich dazu entschieden, euch ständig Teams von anderen SpielerInnen vorzusetzen und dazu braucht es nun einmal Internet. Was mich sogar noch mehr stört ist, dass ich zwar online gegen zufällige Menschen antreten kann, nicht aber geplant gegen Freunde, die gerade online sind. Das ist wirklich schwach und ich hoffe, dass es dafür bald einen Patch geben wird. Trotz der abschließenden Kritik zu Volta, verleiht der Modus FIFA 20 einen weiteren, interessanten Aspekt, der das Gesamterlebnis weiter aufwertet, wenn auch mit ein paar Schönheitsfehlern.

Die Streitfrage

Jetzt kommen wir zum umstrittensten Modus, der von mir trotzdem mit Abstand am meisten gespielt wird: FIFA Ultimate Team (FUT). Wie jedes Jahr könnt ihr euch hier mit Fußballpacks und An- und Verkauf über den Transfermarkt eure eigene Mannschaft zusammenstellen. Ja, es gibt natürlich noch immer die Kartenpacks (Lootboxen), ja in diesen zieht man äußerst selten brauchbare Spieler und ja das ist außerdem auch Pay2Win und muss kritisiert werden. Es ist unverschämt, dass es mit vernünftiger Spielzeit nur ganz, ganz schwer ist ohne Echtgeld an Messi, Ronaldo und Co heranzukommen. Wer hier von den Vorgängern genervt war, wird auch mit FIFA 20 nicht glücklich werden. Ich persönlich spiele den Modus ausschließlich ohne Echtgeld und es motiviert mich trotzdem ungemein, Stück für Stück meine eigene Mannschaft aufzubauen. Da gehört es für mich auch dazu, dass sehr seltene Karten eben erst nach ein paar Monaten erreicht werden können.

Matchmaking verbessert die Umstände

Mir kommt vor allem das Matchmaking zu Gute, dass mich mit ungefähr gleich starken SpielerInnen, aber vor allem auch mit gleich guten Mannschaften zusammen lost. Dadurch habe ich immer das Gefühl eine Chance zu haben. Durch den Transfermarkt, den ich bei PES 2020 schmerzlich vermisse, kann ich gezielt Positionen und die Chemie (gleiche Liga, gleiche Nationalität, korrekte Position) verstärken. Endlich wurden die alten Menüs ersetzt und durch neue Designs, aber auch komfortablere Funktionalitäten ersetzt. Mit L1 bzw. R1 kann ich sofort einen Spieler austauschen und entweder mit einem aus meinem eigenen Verein ersetzen oder am Transfermarkt auf die Suche gehen. Außerdem hat EA die täglichen und wöchentlichen Ziele etwas vereinfacht und es gibt nun, wie man das aus Battle-Royale-Titeln kennt, eigene Seasons.

Seasons und Funmodi in FUT

In einer Season können Erfahrungspunkte durch bestrittene Spiele und abermals erreichte Ziele erlangt werden, mit denen man neue Jubel, Fanchoreografien, Leihspieler und Kartenpacks freischaltet. Es gibt nun deutlich mehr freizuspielen, was auch meine Motivation spürbar anhebt. Zusätzlich könnt ihr jetzt auch lokal oder online Funmodi bestreiten, die die Ausdauer und die Vertragssituation euer Spieler nicht beeinflussen. Da gibt es z.B. „Platzhirsch“, das eine Art King of the Hill ist, wo man versucht möglichst lange in einem Areal den Ball zu halten. Dadurch steigt ein Multiplikator, der bei einem geschossenen Tor die Punktezahl erhöht. In „Max. Chemie“ müsst ihr wie der Name schon sagt nicht auf die Spielerchemie achten, bei „Tausch“ werden zufällig ein paar eurer Spieler mit den gegnerischen ausgetauscht. Am für mich besten funktioniert der „Überraschungs“-Modus, bei dem ihr Items, wie bei Mario Kart aufsammelt. Diese sorgen für einen rasanten Sprint, einen Bombenschuß oder enorme Dribblingkünste. Das alles sorgt für die nötige Abwechslung und eine Kurzweiligkeit im Gesamtpaket FIFA 20.

Ohne Juve, aber mit Ronaldo

Im Karrieremodus hat sich endlich einmal wieder etwas getan. Ihr könnt euch nun einen Trainer oder eine Trainerin aussuchen und das Aussehen und die Kleidung individuell anpassen. Außerdem müsst ihr nach dem Spiel wie in PES 2020 Interviews geben und Einzelgespräche mit störrischen Spielern führen. Da kann eine brennende Rede die Moral deutlich nach oben treiben. Leider sind diese Gespräche aber unvertont und wiederholen sich bald. Wer auf eine Online-Komponente im Karrieremodus hofft, wird auch dieses Jahr wieder enttäuscht. Bei Pro Clubs könnt ihr nun die individuellen Stärken und Schwächen eures Kickers noch besser und genauer einstellen. Endlich gibt es auch einen offline Trainigsmodus, um Spieler und Positionen ausprobieren zu können. Abschließend gibt es noch das leidige Thema Lizenzen und auch wenn man Juventus Turin an Konami verloren hat (die Mannschaft trägt jetzt einen Fantasienamen samt Logo, die Spielernamen sind aber korrekt) hat man gegenüber der Konkurrenz immer noch deutlich die Nase vorn. Alle großen Ligen sind vorhanden, auch mit der jeweiligen zweiten Liga und auch wir Österreicher dürfen uns wie gewöhnt über die österreichische Bundesliga freuen.

FIFA 20 Fazit

FIFA 20 ist für mich besser und runder als PES 2020 geworden. Dasliegt zum Teil an meiner eigenen Gewohnheit aber auch daran, dass ich bei Konamis Ableger mir schon jetzt manchmal schwer tue online Gegner zu finden und mir EA das deutliche bessere Gesamtpaket bietet. Außerdem bevorzuge ich die etwas arcadigere, dafür aber deutlich flüssigere Spielsimulation von FIFA. Hier läuft der Ball schneller, Spieler legen spritzige Sprints hin und die Aufmachung mit Lizenzen und das gesamte Drumherum sind auch spürbar ausgefeilter. Mit dem Volta-Modus hat man einen wichtigen Schritt in die Richtung Fun- und Partyspiel gemacht, der aber noch nicht ganz zu Ende gedacht ist und einige Mängel aufweist. Da werden wir wahrscheinlich noch eine weitere Iteration abwarten müssen. Wer aber, wie ich den Fokus auf Ultimate Team liegen hat, wird mit FIFA 20 viel Freude haben, da man mit den neuen Seasons, den Modi und den vielen kleinen Verbesserungen die Langzeitmotivation deutlich verbessert.