Die Symphonie der Geduld: Die Familie Pecoraro und das Schwarze Gold aus Klosterneuburg

von Stefan 20.12.2025

Modena ist die Wiege des Aceto Balsamico Tradizionale, doch diese Leidenschaft kennt keine geographischen Grenzen. Ich erzähle euch die Geschichte der Familie Pecoraro, die in Klosterneuburg das schwarze Gold mit italienischer Seele und Grüner Veltliner-Trauben erschafft.

Ouverture in Klosterneuburg: Der Balsamico-Traum eines Kammersängers

Der Aceto Balsamico, oft als das schwarze Gold der Emilia Romagna gefeiert, ist eine der edelsten und kostbarsten Würzmittel der Welt. Doch diese kulinarische Reise führt uns nicht nach Modena, sondern an den Rand von Klosterneuburg, wo der österreichische Kammersänger Herwig Pecoraro ein wahres Meisterwerk der Geduld erschaffen hat. Die Geschichte der Acetaia Pecoraro ist die faszinierende Liaison von Hochkultur, strenger Disziplin und tief verwurzelter Liebe zur authentischen Handwerkskunst.

Herwig Pecoraro, der nach über 30 Jahren als Tenor an der Wiener Staatsoper seit fünf Jahren den verdienten Ruhestand genießt, entdeckte seine Passion für dieses Elixier bereits vor Jahrzehnten während seines Gesangsstudiums in Modena. Das tiefe Bekenntnis zu einer Lebensphilosophie, die auf höchster Qualität beruht, mündete in das Motto seiner Acetaia: Neugierig sein, den Sinnen vertrauen, das Eigene entwickeln. Die jahrelange, disziplinierte Arbeit an der Stimme findet ihre unmittelbare Entsprechung in der Pflege des Balsamicos. Er und sein Sohn Mario beweisen in Klosterneuburg, dass Handwerk entscheidender sind als der geografische Ort. Seit dem Ruhestand von seinem Vater führt Mario Pecoraro die Acetaia.

Herwig und Mario Pecoraro

Copyright: Acetaia Pecoraro

Arie und die Alchemie des Schattens: Wie man das Klima Modenas in Österreich erschafft

Die traditionelle Produktion ist untrennbar mit den extremen klimatischen Zyklen der Dachböden in Modena verbunden: Sie braucht eiskalte Winter und brütend heiße Sommer. Diese extremen Temperaturwechsel sind der Schlüssel zur sogenannten „schleichenden Fermentation“.

Die Pecoraros stellten sich dieser Herausforderung. Mit großem technischem Know-how und viel Tüftelei gelang es ihnen, dieses spezifische mediterrane Klima am Rande Klosterneuburgs zu reproduzieren. Der Herstellungsprozess beginnt mit der bewussten österreichischen Signatur: frisch gepresstem Veltliner Most aus Niederösterreich. Dieser Most wird über offenem Feuer schonend erhitzt und einreduziert. Diese Reduktion ist essenziell, denn sie legt den Grundstein für die spätere Dichte und Süße des lange gereiften Elixiers.

Die Magie der Fassbatterie: Holzarten und die schleichende Fermentation

Der hochkonzentrierte Most wird in sogenannte „Fassbatterien“ überführt. Eine solche Batterie besteht typischerweise aus einer Reihe von fünf Fässern in absteigender Größe, da der Balsamico über die Jahre durch Verdunstung immer konzentrierter wird. Während der jahrelangen Lagerung verliert der Balsamico jährlich zwischen 15 und 20 Prozent seiner Menge – der poetisch betitelte „Engelsanteil“. Um diesen Verlust auszugleichen und die Konzentrierung fortzusetzen, wird die Flüssigkeit jährlich sorgsam vom größten zum nächstkleineren Fass aufgefüllt, bis nur noch das reifste Elixier aus dem kleinsten Fass entnommen werden kann.

Einzigartig an der Acetaia Pecoraro ist die erweiterte Auswahl an verschiedenen Hölzern, die bewusst kombiniert werden, um ein komplexes und tiefes Aromenspektrum zu erzielen. Eiche liefert Struktur und Vanillin, Kirsche sorgt für Süße und Geschmeidigkeit, und Maulbeerbaum trägt zur intensiven Färbung bei. Kastanie steuert Tannine und einen kräftigen Körper bei, während Akazie für Dichte und eine geschmeidige Textur. Dieser Pecoraro Balsamico lagert mindestens neun Jahre in diesen Fassbatterien, um so vollendet verwendet werden kann.

Die Frage der Ehre: Aceto Balsamico Tradizionale (DOP) versus Industriale (IGP)

Sag niemals Essig zu ihm!

Um die Klasse des Pecoraro Balsamicos zu würdigen, muss der fundamentale Unterschied zwischen traditioneller und industrieller Produktion klar sein.

Der Aceto Balsamico Tradizionale (DOP)

Der Aceto Balsamico Tradizionale (Geschützte Ursprungsbezeichnung, DOP) ist das kompromisslose Reinheitsgebot der Kulinarik. Er muss zu 100 Prozent aus gekochtem Traubenmost bestimmter Sorten bestehen, und keinerlei Zusätze sind erlaubt. Die Mindestreifezeit beträgt 12 Jahre für den Affinato und 25 Jahre für den Extra Vecchio. Er ist sirupartig und wird nur in den vorgeschriebenen, nummerierten 100-ml-Flaschen abgefüllt.

Der Aceto Balsamico Industriale (IGP)

Im Gegensatz dazu steht der industrielle Aceto Balsamico di Modena (Geschützte Geografische Angabe, IGP). IGP-Produkte bestehen nur zu mindestens 20 Prozent aus gekochtem Most und der Löwenanteil aus Weinessig. Schon 60 Tage Reifezeit reichen hier aus, um den Status zu erhalten. IGP Balsamico ist flüssiger und dient primär dem alltäglichen Einsatz in der Küche.

Die Pecoraro-Position: Traditionelle Kunst außerhalb der Grenzen

Obwohl der Pecoraro Balsamico außerhalb Italiens hergestellt wird und somit weder DOP noch IGP genannt werden darf, folgt die Acetaia der strikten DOP-Methodik: 100 Prozent gekochter Most (Veltliner) und jahrelange Reifung in Fassbatterien. Ihr dürft dies als ein bewusst gewähltes Handwerk im Geiste der Tradition verstehen, das die Essenz des Tradizionale einfängt.

Copyright: Acetaia Pecoraro

Reifegrade und die Kunst des Genusses: Was ihr in der Küche alles dürft

Der hochkonzentrierte Balsamico aus Klosterneuburg ist ein kulinarisches Juwel, das eine achtsame Anwendung verlangt. Aufgrund seiner extremen Dichte empfehle ich euch ihn nicht zum Kochen, sondern ausschließlich zum Veredeln verwenden. Ihr braucht nur ein bis zwei Tropfen dieses tiefgründigen Elixiers, um den vollen, komplexen Geschmack zu entfalten.

Ihr dürft dieses schwarze Gold großzügig und unerwartet in eure Küche integrieren, denn es ist ein brillanter Kontrapunkt zur Fülle eines Gerichts:

Süße Veredelung: Probiert ihn tropfenweise über Desserts – über frische Erdbeeren, Pfirsiche oder Birnen. Die Säure schneidet durch die Süße der Frucht, während die karamellisierten Noten die Fruchtigkeit hervorheben. Auch über Vanilleeis in Kombination mit Feigen ist er ein Gedicht.

Herzhafte Akzente: In der herzhaften Küche solltet ihr ihn erst am Ende zugeben, um seine flüchtigen Aromen nicht durch Hitze zu zerstören. Er dient als elegante Würze für Tagliata vom Ribeye (Empfehlung von Den Pecoraros) oder als Abrundung in cremigen Speisen wie Kürbissuppe (ebenfalls eine Empfehlung von den Pecoraros), wo er für eine angenehme Tiefe sorgt.

Finaler Schlussakkord: Das Vermächtnis des schwarzen Goldes

Die Acetaia Pecoraro verkörpert die einzigartige Verschmelzung der strengen italienischen Tradizionale-Methode mit der regionalen Signatur des österreichischen Veltliner Mosts. Herwig Pecoraros Hingabe, einst seiner Opernkarriere gewidmet, spiegelt sich heute in jedem Fläschchen wider. Und sein Sohn Mario führt die Tradition fort.

Haltet nach den ikonischen Fläschen bei Delikatessenhändlern Ausschau oder besucht die Acetaia Pecoraro in Person oder nutzt den Onlineshop. Dieses außergewöhnliche und durch die Jahre veredelte Produkt aus Klosterneuburg ist ein Highlight für Gourmets. Mit jedem Tropfen setzt ihr die kulinarische Geschichte eines einzigartigen österreichischen Meisters fort, der die Geduld der Oper mit dem tiefsten Geheimnis eines Handwerks vereint hat.

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