Der kühne Knappe/The Plucky Squire Test (PS5): Ein märchenhafter Ausflug
Der kühne Knappe ist ein kleines Kunstwerk geworden, das uns zwischen den Seiten eines lebendigen Kinderbuches und der realen Welt hin- und herspringen lässt.
Über Der kühne Knappe
Knapp zehn Stunden voller Überraschungen, kreativer Spielmechaniken und einer Prise Nostalgie erwarten euch und präsentieren sich in einem Abenteuer, das man so schnell nicht vergisst. Das Debütspiel von All Possible Futures beweist eindrucksvoll, was passiert, wenn ehemalige Pokémon-Künstler und erfahrene Indie-Entwickler ihre Köpfe zusammenstecken. Der kühne Knappe (im Original: The Plucky Squire) stammt aus der Feder des britischen Studios All Possible Futures, das 2022 von James Turner und Jonathan Biddle gegründet wurde. Turner kennt man als ehemaligen Art Director bei Game Freak, wo er als erster Westler überhaupt Pokémon designen durfte und Titel wie Pokémon Schwert und Schild visuell prägte. Biddle hingegen bringt seine Erfahrung aus Indie-Hits wie The Swords of Ditto mit.
Die offizielle Website des Spiels verspricht eine Geschichte über den mutigen Knappen Jot, der vor Können, Mut und Selbstvertrauen nur so strotzt. Jedes Mal ist er siegreich, und Verlieren ist ihm fremd! So lange, bis der fiese Grummweil ihn aus seinem eigenen Märchenbuch hinauswirft und er nun sowohl in der zweidimensionalen Buchwelt als auch in der dreidimensionalen Realität eines Kinderzimmers bestehen muss. Das Studio ist besonders stolz auf die innovative Spielmechanik des Dimensionswechsels, bei der wir nahtlos zwischen 2D- und 3D-Welten hin- und herwechseln können. Diese Kernidee entstand laut Turner während seiner Auszeit nach dem Verlassen von Game Freak, als er Bilderbücher für seinen Sohn las und sich fragte, wie man diese interaktiver gestalten könnte. Was für eine Muse!
Wie ein schönes Kinderbuch
Der Einstieg in Der kühne Knappe könnte kaum charmanter sein. Bereits nach wenigen Augenblicken findet man sich in den wunderschön handgezeichneten Seiten eines Kinderbuches wieder, wo der titelgebende Knappe Jot gerade dabei ist, das Königreich vor dem bösen Zauberer Grummweil zu retten. Die ersten Minuten funktionieren wie ein interaktives Tutorial, das die Grundlagen des 2D-Gameplays vermittelt – Schwert schwingen, hüpfen, Gegenstände sammeln. Alles fühlt sich vertraut an für jeden, der schon mal ein Zelda-Spiel gespielt hat. Der erste große Überraschungsmoment kommt dann, als Grummweil erkennt, dass er als Bösewicht des Buches dazu verdammt ist, für alle Ewigkeit zu verlieren.
Hier nimmt das Spiel eine Wendung à la Evoland: Kurzerhand wirft er Jot aus den Buchseiten heraus in die reale Welt – und plötzlich steht ihr als 3D-Figur auf einem Kinderzimmer-Schreibtisch. Dieser Moment ist pure Magie und sorgt garantiert für das erste „Wow!“ des Spiels. Die Steuerung passt sich nahtlos an beide Dimensionen an, und dank der durchdachten Kameraführung wirkt der Wechsel nie abrupt oder verwirrend. Spielerfahrung benötigt man praktisch keine. Das Spiel führt behutsam in seine Mechaniken ein und lässt einem genug Zeit, sich mit den jeweiligen Gegebenheiten vertraut zu machen. Die deutsche Lokalisierung ist dabei tadellos gelungen, sowohl in Text als auch in der Sprachausgabe.
Kreativität ohne Ende
Beim tatsächlichen Spielen entpuppt sich Der kühne Knappe als wahre Wundertüte voller spielerischer Einfälle. Das Kernkonzept des Dimensionswechsels wird dabei nie langweilig, weil das Entwicklerteam unzählige kreative Variationen davon präsentiert. Ihr werdet beispielsweise Objekte aus der 2D-Welt in die 3D-Realität mitnehmen, das Buch physisch neigen oder schütteln, um die Physik in der 2D-Welt zu beeinflussen, und immer wieder Seiten vor- und zurückblättern, um Rätsel zu lösen. Besonders clever sind die Wortspiel-Rätsel, bei denen man Begriffe in den Textzeilen der Geschichte austauschen kann. So wird aus einem Wald eine Ruine, oder eine Stütze wird bröckelnd statt hoch.
Derartige Einlagen sind wirklich etwas Besonderes, einfach, weil man sie noch nicht so oft in anderen Games gesehen hat. So auch hier: Diese Mechanik fühlt sich jedes Mal magisch an und zeigt, wie durchdacht das gesamte Spieldesign ist. Jedes der acht Hauptkapitel bringt neue Gameplay-Elemente mit sich, ohne dass sich etwas wiederholt anfühlt. Die Minispiele lockern das Geschehen zusätzlich auf und bieten völlig andere Genres – von Boxkämpfen über Shoot-em-ups bis hin zu Rhythmus-Spielen. Hier zeigt sich die Liebe zum Detail, denn jedes Minispiel hat seinen eigenen visuellen Stil und fühlt sich wie ein eigenständiges kleines Spiel an. Wer Evoland und Evoland 2 kennt, liebt auch The Plucky Squire!
Was aufgefallen ist
Der kühne Knappe ist ganz klar ein Kinderspiel für alle ab sieben Jahren. Dementsprechend gibt es nur wenig Herausforderung, das Spiel ist durchwegs sehr einfach gehalten. Echte Hürden gibt es kaum, der Pluspunkt dabei: Wer dran bleibt, wird mit ziemlicher Sicherheit auch zum Ende kommen. Dabei hervorzuheben ist im gleichen Atemzug die Länge des Spiels. Mit etwa zehn Stunden für die Hauptstory und zusätzlichen Sammelobjekten bietet The Plucky Squire ein ordentliches Paket für seinen Preis von 29,99 Euro. Die Entwickler haben bewusst auf Füllmaterial verzichtet und stattdessen jede Spielminute mit neuen Ideen gefüllt.
Diese konstanten Überraschungen und der hohe Kreativitätsfaktor machen es zu einem perfekten Cozy Game für entspannte Spieleabende. Damit nicht genug: Das Spiel steckt voller Anspielungen auf Gaming-Klassiker und zelebriert die Magie des Mediums auf eine Art, die einen unwillkürlich zum Lächeln bringt. Besonders jene, die in den 90ern und 2000ern mit dem Videospiel-Medium groß geworden sind, werden viele liebevolle Details entdecken. Und wer Titel wie It Takes Two, Paper Mario oder A Link Between Worlds geschätzt hat, wird die innovativen Spielmechaniken von Der kühne Knappe lieben.
The Plucky Squire: Die Technik
Das Spiel bietet zweifelsohne eine bezaubernde Präsentation. James Turners charakteristischer Zeichenstil, den man aus seinen Pokémon-Designs kennt, verleiht dem Spiel eine einzigartige Identität. Seine 2D-Abschnitte sehen aus wie ein zum Leben erwecktes Kinderbuch, während die nahezu lebensechten 3D-Bereiche mit liebevollen Details nur so strotzen – natürlich stets mit 60 fps. Die märchenhafte Aufmachung, die einfachen Rätsel und die kinderfreundliche Geschichte machen es zum idealen Einstiegsspiel für Gaming-Neulinge. Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern spielen möchten, finden hier einen Titel, der sowohl die Kleinen begeistert als auch Erwachsene mit seinen cleveren Referenzen und nostalgischen Anspielungen abholt.
Die Soundabteilung glänzt mit einem orchestralen Soundtrack, der die verschiedenen Stimmungen des Spiels perfekt einfängt. Von verträumte Melodien in der Buchwelt bis hin zu verspielten Tönen im Kinderzimmer – die Musikuntermalung ist durchwegs stimmig. Die deutsche Sprachausgabe ist professionell umgesetzt und verleiht den Charakteren Persönlichkeit. Bei der Steuerung setzt Der kühne Knappe auf bewährte Konzepte und hält es einfach. Ein weiteres Highlight ist die Barrierefreiheit. Das Spiel bietet verschiedene Schwierigkeitsoptionen, die sich jederzeit anpassen lassen. Bei Rätseln gibt es dezente Hinweise, ohne sie vorweg zu nehmen, gleichzeitig können Minispiele übersprungen werden, falls sie zu frustrierend werden. Perfekt!
Mehr von diesem Knappen, bitte!
Der kühne Knappe ist ein kleines Meisterwerk geworden, das zeigt, was passiert, wenn kreative Köpfe ihrer Fantasie freien Lauf lassen. James Turner und Jonathan Biddle haben mit ihrem Debüttitel bei All Possible Futures ein Spiel geschaffen, das nicht nur technisch innovativ ist, sondern vor allem eines vermittelt: pure Spielfreude. Der konstante Wechsel zwischen 2D- und 3D-Welten fühlt sich nie wie ein Gimmick an, sondern ist das Herzstück eines durchdacht konzipierten Spielerlebnisses. Die traumhafte Präsentation, die liebevollen Details und die konstanten Überraschungen machen The Plucky Squire zu einem Spiel, das man so schnell nicht vergisst. Besonders die Wortspiel-Mechaniken und die cleveren Rätsel zeigen, wie viel Potenzial in der Grundidee steckt.
Mit etwa zehn Stunden Spielzeit bietet es genug Inhalt für seinen Preis, ohne sich zu sehr in die Länge zu ziehen. Denn jede Mechanik wird ausreichend bedient, bevor sie mit einer Wendung versehen oder von einer neuen ersetzt wird. Schwächen gibt es nur wenige: Hier wäre eventuell das Fehlen jeglicher Spannung oder Herausforderung anzuführen. Wer jedoch ein kreatives, familienfreundliches Abenteuer sucht, das sowohl Kinder als auch Erwachsene begeistert, findet hier einen wahren Schatz. Der kühne Knappe beweist eindrucksvoll, dass Videospiele mehr sein können als nur Unterhaltung, sie können in Ausnahmefällen auch pure Magie sein. Während das reine Einzelspielerspiel nicht ganz mit Juwelen wie It Takes Two mithalten kann, verdient sich The Plucky Squire seine Sporen durchaus.