1954: Alcatraz (PC) im Test

von Max Hohenwarter 10.02.2014

Die Silhouette ist eine der bekanntesten der Welt. Wie ein betongewordenes Mahnmal wider die unzähligen Gefängnisausbrüche, die versucht wurden und letzten Endes doch scheiterten, liegt der Sandsteinfelsen in der Bucht von San Francisco. Er verlacht all die bekannten Gestalten und Insassen, die er beherbergte und denen er alle Hoffnung auf Freiheit nahm. Die Rede ist von einem der mythischsten Orte in der Geschichte des amerikanischen Justizvollzugs – von „The Rock“: vielen besser bekannt als Alcatraz. Ob auch Joe Lyons bei seiner Flucht vom Felsen in 1954: Alcatraz versagt oder ob das neue Adventure von Irresponsible Games und Daedalic Entertainment den „Rock“ rockt, erfahrt ihr in meinem Test.

Der Knacki, das Beatgirl und ein Berg von Cash

Aus der Armee ehrenhaft entlassen, wünscht sich Joe selbiges auch für seine Inhaftierung. Jedoch sitzt er aufgrund schweren Raubs und eines Ausbruchs aus dem Bundesgefängnis Leavenworth in Alcatraz, dem sichersten Gefängnis der Welt, ein und fristet sein Dasein. Doch abgefunden hat Joe sich mit diesem Schicksal definitiv nicht. Er tut alles, um von seinen Mitgefangenen Informationen für seinen baldigen Ausbruch zu ergattern und Vorbereitungen zu treffen. Sollte sein Plan aufgehen, will er nach seiner Flucht mit der versteckten Beute des Raubs und seiner Frau Christine ein neues Leben auf Hawaii oder in Mexiko beginnen.

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Seine Angetraute hat derweil im Stadtteil North Beach mit eigenen Problemen zu kämpfen. Zum einen versucht sie, Joe bei seinem Ausbruch so gut es geht zu unterstützen, zum anderen sitzt ihr der schmierige Nachtclubbesitzer Mickey – Joes Komplize beim Raub – im Nacken, der auch daran interessiert ist, die Beute zu finden. Hilft Christine ihm nicht bei der Suche, droht er, sie umzubringen. Der Haken an der Geschichte: Nur Joe weiß, wo sich das Diebesgut befindet. Da Christine Joe aber nur einmal pro Monat sehen darf, ist sie auf sich allein gestellt. Eine spannende Räuberpistole im San Francisco der 1950er-Jahre entfaltet sich.

Erwachsen und doch kindlich

Über das Gameplay eines Point-and-Click-Adventures zu schwadronieren ist sicherlich so sinnvoll, wie Al Capone das Schnapsgeschäft erklären zu wollen. Auch der jederzeit mögliche Wechsel zwischen den zwei ProtagonistInnen Joe und Christine erfindet das Adventure-Rad nicht neu. Die Rätsel sind bestenfalls Mittelmaß, aber keine allzu großen Brain-Buster.

Ergo konzentriere ich mich auf die Gestaltung der Geschichte und des Szenarios. Die Epoche der 1950er ist eine kulturell äußerst interessante. Die künstlerische Strömung des Beatnik hat „Frisco“ voll im Griff. Überall treiben sich intellektuelle, in Baretts gekleidete MusikerInnen und LiteratInnen herum und schreiben nachdenkliche Prosa oder machen weltschmerz-geschwängerte Musik. Die meiste Zeit des Spiels herrscht in North Beach die Nacht, im Hintergrund ertönt entspanntes und sehr atmosphärisches Modern-Jazz-Gedudel. Diese sehr dichte und vor allem stimmige Szenerie versprüht den Geist so mancher Film-noir-Meisterwerke.

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Im Gegensatz dazu gestaltet sich Joes Gefängnisalltag eher grau und monoton. Er ist umgeben von Mauern aus tristem Stahlbeton und mürrisch dreinblickenden Mithäftlingen oder zwielichtigen Wärtern, die die Gefangenen auch gern mal für kleine, private Arbeiten „ausleihen“. Die bedrückende und erwachsene Atmosphäre des Spiels wird durch den reichlichen Gebrauch von Schimpfwörtern und Flüchen verstärkt. Auch Themen wie Transvestitismus oder Homosexualität werden angeschnitten und passen zum reifen Flair.

Im Kontrast dazu steht die Grafik des Titels. Geht die Rechnung beim durch die Bank stimmigen Cell-Shading-Look von Titeln wie Telltales The Walking Dead oder The Wolf Among Us auf, verzettelt sich 1954: Alcatraz hierbei. Zum einen fügen sich die 3D-Charaktere nicht so gut in die auf Fotorecherchen basierenden, handgezeichneten Hintergründe ein. Zum anderen wirken sie im erwachsenen Erzählstil in ihrer comichaft-überzeichneten Darstellung etwas deplaziert, was der an sich sehr gelungenen Atmosphäre keinen Gefallen tut.

Beim Sound hingegen kann das Spiel wieder voll punkten. Nicht nur die melancholische Jazz-Musik weiß zu begeistern, auch die deutschen SprecherInnen leisten sehr gute Arbeit. Jedoch folgt auch hier eine gewisse Ernüchterung auf dem Fuße. Lippensynchronität ist in den sehr gut geschriebenen Dialogen praktisch nicht vorhanden, und auch ausdrucksstarke, wechselnde Mimiken bei den Charakteren sucht man vergeblich.

Zusammenfassung

1954: Alcatraz sitzt – erzählerisch und designtechnisch – zwischen zwei Stühlen. Es hat einen erwachsenen Erzählstil, aber eine sehr kindliche Darstellung. Dadurch verschenkt es das Potenzial, eine bedrohliche und ernste Stimmung, wie in der hochspannenden TV-Serie Prison Break, aufzubauen. Auch die Rätsel erfordern keine allzu große Hirnakrobatik. Dialog- und soundtechnisch ist das Spiel wiederum über jeden Zweifel erhaben und punktet mit einem hohen Niveau der SprecherInnen, wäre da nicht die abhandengekommene Lippensynchronität. Viel Spaß hatte ich mit dem Game aber allemal. Ich bin zwar – genretechnisch gesehen – keine Koryphäe, aber meine Liebe für Computerspiele begann mit Titeln wie Baphomets Fluch und Day of the Tentacle. Alte Hasen und Rätselfreaks werden an der Daedalic-eigenen Deponia-Serie oder den stilsicheren Telltale-Titeln mehr Gefallen finden. Adventure-Neulinge oder Ex-Point-and-ClickerInnen, die – wie ich – wieder zum Genre finden wollen, dürfen bei 1954: Alcatraz bedenkenlos zugreifen.

Wertung: 7.5 Pixel

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